Politische Instabilität, soziale Unruhen, geopolitische Rivalitäten, der Aufstieg des Populismus, bewaffnete Konflikte, Staatsstreiche: Nach einem Jahr intensiver Wahlkämpfe und geopolitischer Turbulenzen, die sich auch auf den Welthandel auswirken, sind politische Risiken heute dauerhafte, komplexe und beunruhigende Realität, mit der sich Unternehmen auseinandersetzen müssen.
Ein neues Kapitel
2024 war in vielerlei Hinsicht ein entscheidendes Jahr. Mehr als 70 Länder (darunter sieben der bevölkerungsreichsten der Welt) bzw. die Hälfte der Weltbevölkerung ging an die Wahlurnen. Von den Vereinigten Staaten über Südafrika, das Vereinigte Königreich, Japan bis hin zum Senegal hat diese beispiellose Wahlwelle die politische Instabilität verschärft.
Dieser Trend spiegelt sich auch im Coface-Index für politische Risiken wider, der mit 40,2% weiterhin hoch ist, und über dem Durchschnitt vor Covid-19 (+1,3 Prozentpunkte) liegt. Nach mehreren Jahren der Volatilität infolge der Pandemie sind 112 der 162 von Coface bewerteten Länder heute einem höheren politischen und sozialen Risiko ausgesetzt als vor 2020.
Politische und soziale Risiken bleiben extrem hoch. Das zeigt, dass wir am Anfang eines neuen Kapitels stehen, in einer Welt, die sich tiefgreifend verändert. Die Brüche zwischen den führenden Volkswirtschaften verändern weiterhin die Handelsströme und schwächen die politische Stabilität und den sozialen Zusammenhalt.
- Ruben Nizard, Head of Sector & Political Risk Analysis bei Coface.
Politische Instabilität: Mangelnde Orientierung und Gefahr des Abdriftens
Wissenswert
Nach den Wahlturbulenzen haben die meisten Regierungsparteien Stimmen verloren. Durch diese Veränderungen ist die tiefe Unzufriedenheit der Wähler angesichts der als rückläufig wahrgenommenen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den Vordergrund gerückt. Die zum Teil tiefgreifenden Veränderungen konnten die politischen Unsicherheiten nicht beseitigen, wie in Südafrika, wo der African National Congress (ANC) zum ersten Mal seit den ersten demokratischen Wahlen im Jahr 1994 seine absolute Mehrheit verlor – oder wie in Großbritannien, wo die Popularität des Premierministers schlagartig zurückging. Schließlich blieb auch Deutschland bei den vorgezogenen Wahlen im Februar 2025 von dieser Ablehnungswelle gegenüber Amtsinhabern nicht verschont.
"Die Wähler haben in erster Linie die Amtsinhaber regelrecht weggefegt, und sich weniger für eine bestimmte politische Linie ausgesprochen.Und wenn eine klare Orientierung fehlt, dann verstärkt sich das Risiko abzudriften", betont Ruben Nizard.
Im Fokus
Verankerung extremer Parteien in der politischen Landschaft
Die politische Unsicherheit geht einher mit dem weltweiten Aufstieg des Populismus, insbesondere in Europa. Mehr als ein Viertel der Sitze im Europäischen Parlament ist mittlerweile von den radikalen Rechten und Populisten besetzt. Die extreme Rechte regiert in drei Ländern (Italien, Tschechien, Ungarn) und ist an sieben Landesregierungen beteiligt. In Osteuropa überschattete Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine mehrere Wahlen (Österreich, Rumänien, Georgien, Moldawien) und erschwerte die europäischen Integrationsbemühungen – ein wichtiger Hebel im Kampf gegen die finanzielle, energiepolitische, regulatorische, soziale und politische Fragmentierung.
Ablehnung der Amtsinhaber – ein richtungsloser Kurswechsel
In den kommenden Monaten werden die ersten Schritte der AfD und der neuen deutschen Regierungskoalition von CDU, CSU und SPD ebenso aufmerksam beobachtet wie die bevorstehenden Parlamentswahlen in Kanada und Australien. Polen und Rumänien müssen sich ihrerseits zwischen europäischer Öffnung und einem Rückzug auf die nationale Identität entscheiden. Der Wahlkalender 2025 ist weniger geschäftig als im Vorjahr, aber das Phänomen der Abwahl von Amtsinhabern könnte sich durchaus fortsetzen.
Soziale Unruhen und politische Schwäche
Wissenswert
Angeheizt durch Inflation und das Misstrauen gegenüber (staatlichen) Institutionen blieben 2024 auch die Industriestaaten (z. B. Frankreich, Großbritannien) nicht von sozialen Unruhen verschont – und diese haben sich inzwischen auch auf Ungarn, Serbien und die Türkei ausgebreitet. Die politische Schwäche, die sich seit dem letzten Jahrzehnt weiter verschärft, zeugt von der Erosion des Rechtsstaats und der bürgerlichen Freiheiten in vielen Ländern.
Im Fokus
Erhöhte soziale Mobilisierung
In Europa hat sich der Ärger der Landwirte verstärkt, insbesondere angesichts des Freihandelsabkommens zwischen der EU und den Mercosur-Staaten, das von vielen als Treiber für unlauteren Wettbewerb angesehen wird. Auch in Indien hatte die Bewegung „Delhi Chalo“ (Auf dem Weg nach Delhi) im Vorfeld der Parlamentswahlen erneut viele Landwirte mobilisiert, die gegen die Untätigkeit der Regierung in der Frage eines garantierten Mindestpreises für Nutzpflanzen protestierten.
Die Auswirkungen der geopolitischen Spannungen
Die soziale Instabilität wächst, während zugleich die geopolitischen Turbulenzen zunehmen – wie der Krieg zwischen Israel und der Hamas zeigt, der in vielen Ländern zu erheblichen Mobilisierungswellen führte.
Geopolitische Risiken: wirtschaftliche Absicherung und Spannungen auf Handelsrouten
Wissenswert
Die Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und China, die Kriege zwischen Israel und den Hamas bzw. Russland und der Ukraine: Durch geopolitische Unruhen werden, je nach Einfluss der verschiedenen Länder, Handelsrouten um- bzw. neugestaltet. Die Handelsbeziehungen zwischen westlichen Ländern bröckeln, ebenso wie die zwischen China und Russland. Ein Beweis dafür ist, dass der Handel zwischen geopolitischen Blöcken (China-USA, Atlantisch und Nicht-atlantisch) schneller zurückgegangen ist als innerhalb dieser Blöcke.
Die ersten Wochen der Amtszeit Donald Trumps haben schon jetzt zu großen Erschütterungen geführt. Der amerikanische Präsident hat seine protektionistischen Drohungen den wichtigsten Handelspartnern gegenüber inzwischen umgesetzt. Das Schreckgespenst Handelskrieg ist wieder zurück.
Im Fokus
Geostrategische Konkurrenz und wirtschaftliche Absicherung
Die wichtigsten Handelsblöcke (China, Vereinigte Staaten, Europa) sind in ein intensives geostrategisches Rennen verwickelt, in dem jeder Block mit wirtschaftlicher, technologischer und militärischer Macht eine Führungsposition unterstreicht. Handelsbarrieren, Zölle, Exportbeschränkungen, Technologietransfers: die Handelspolitik ist ein entscheidendes Instrument. In den nächsten Monaten und Jahren werden wirtschaftliche „Sicherheitsmaßnamen“ zwischen den Vereinigten Staaten und China – aber auch zwischen anderen Spielern wie die EU, Kanada oder Mexiko – zur Normalität. Je nach deren Position und Positionierung werden sich Unternehmen anpassen müssen, um die jeweiligen wirtschaftlichen Auflagen zu erfüllen, sowohl beim Import und Export als auch im Bereich der Investitionen oder der Industriepolitik.
Die Rolle der „Verbindungsländer“
Von politischen Sanktionen, wirtschaftlichem Rückzug und den Störungen der Handelsrouten betroffen, wird sich der Handel innerhalb geopolitischer Blöcke verstärken. Länder wie Mexiko und Vietnam, (Haupt)Zulieferer der Vereinigten Staaten, sind zu bevorzugten Zielen chinesischer Exporte geworden. Diese strategischen Zentren erobern Marktanteile innerhalb der US-China-Zulieferkette, und sie ergänzen diese, ohne sie zu unterbrechen. Diese Länder sind heute die Gewinner des „Umbaus“ im Welthandel – und sie könnten auf lange Frist das Ziel von Handelskriegen werden, wodurch ihre wichtige Rolle in dieser neuen Dynamik wieder geschwächt würde.
Europa im Aufbruch?
Die Europäische Union scheint eines der ersten Opfer von Donald Trumps Plänen und Chinas aggressiven Handelsmethoden zu sein. Bislang jetzt tut sich der „alte Kontinent“ schwer, eine Antwort zu finden. Er schwankt zwischen der Unfähigkeit, sich zwischen den Mitgliedstaaten abzustimmen und der Notwendigkeit, (wieder) zu einem strategischen Spieler zu werden – all das, während die Herausforderungen im Bereich der wirtschaftlichen und industriellen Wettbewerbsfähigkeit, der Energiewende und der technologischen Innovationen dringlicher sind denn je. Angesichts solcher Widrigkeiten muss Europa wieder an Schwung gewinnen: Das deutsche Investitionsprogramm und die „Readiness 2030“-Verteidigungsinitiative der EU sind erste Anzeichen, dass Dinge in Bewegung geraten.
Bewaffnete Konflikte und sichere Handelsrouten
Die Konflikte in der Ukraine, in Nahost und im Sudan üben weiterhin Druck auf die Sicherheit des globalen Handels aus. Das Rote Meer und der Suezkanal sind zu kritischen Spannungspunkten geworden, wie die Huthi-Attacken auf Schiffe im Roten Meer gezeigt haben. Der Transit durch den Suezkanal mit 12% des Welthandels und 30% des Containerverkehrs ist davon ebenfalls betroffen. Das Resultat: Der Schiffsverkehr durch den Kanal ist im letzten Quartal 2024 um mehr als 50% zurückgegangen (gegenüber der Vorjahresperiode) und die Frachtführer weichen nun auf die deutlich längere Route um das Kap der Guten Hoffnung aus.
Geopolitische Risiken sind jetzt Realität für den globalen Handel. Unternehmen müssen sich an diese neue Umgebung anpassen, in der eine Regionalisierung der Handelsströme ihre Lieferketten, und manchmal auch ihre gesamte Strategie, stört. Dies ist umso problematischer, da zusätzliche Faktoren, wie beispielsweise die Klimakrise, diese Tendenz noch verschärfen.
- Ruben Nizard, Head of Sector & Political Risk Analysis bei Coface.
Weitere wichtige Informationsquellen:
- Das aktuelle Coface Länder- und Branchenrisiko-Barometer
- Unser „Country & Sector Risk Handbook 2025“ mit Analysen und Trends zu über 160 Ländern und 13 globalen Branchen