Geostrategische Spannungen beeinflussen die globale Wirtschaft und stellen drei Jahrzehnte kommerzieller und finanzieller Integration in Frage. Mit Blick auf eine mögliche Regionalisierung des Handels und eine Neuausrichtung der Handelsströme analysierten Experten aus den Bereichen Finanzen, Industrie und Logistik auf der Coface Country Risk Conference am 4. Februar.
Angesichts eines globalen Umfelds, das in den letzten zwei Jahren durch die russische Invasion in der Ukraine, den Hamas-Angriff auf Israel und die eskalierenden Spannungen zwischen China und Taiwan besonders instabil geworden ist, hat die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus am 20. Januar 2025 das geopolitische Gefüge weiter belastet. Die Coface Country Risk Conference brachte wichtige Akteure der Wirtschaft zusammen, um die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf Handel, Finanzen und die globale Logistik zu bewerten. Die Gespräche zeigen, dass die Globalisierung zwar tatsächlich geschwächt wurde, jedoch keine vollständige wirtschaftliche Rückläufigkeit stattfindet. Stattdessen befinden sich die globalen Märkte und wirtschaftlichen Strukturen in einem Umstrukturierungsprozess.
Eine neue Ära der Globalisierung
Verstärkt durch die anfänglichen Entscheidungen der Trump-Administration, übt die derzeitige geopolitische Fragmentierung zweifellos Druck auf die wirtschaftliche Aktivität und die Struktur des Welthandels aus. „Dennoch können wir angesichts der verfügbaren Handelsdaten nicht von Deglobalisierung sprechen“, betonte Agatha Kratz, Partnerin bei der Rhodium Group. Dieser Ansicht ist auch Ramon Fernandez, CFO von CMA CGM, der drittgrößten Schifffahrtsgruppe der Welt. Trotz der enormen geopolitischen und wahlpolitischen Unsicherheit, die das Jahr 2024 prägte, sowie der Störungen in bestimmten strategischen Transitbereichen, haben sich die Handelsströme besser entwickelt als prognostiziert. „Während 85% des Welthandels über die Ozeane abgewickelt werden, haben wir bei CMA CGM nie so viele Waren transportiert wie während Trumps erster Amtszeit, und das Volumen wächst weiter“, sagte Ramon Fernandez. 2024 wird der internationale Warenhandel voraussichtlich um etwa 6% gewachsen sein, also doppelt so schnell wie das weltweite Wachstum von etwa 3% in 2023, als der Welthandel stagnierte, weil die Unternehmen ihre Lagerbestände reduzierten, anstatt neue Produkte zu bestellen oder zu produzieren.
In den vergangenen fünf Jahren wurde Europa zunehmend abhängig von der chinesischen Wirtschaft.
Agatha Kratz, Partner, Rhodium Group
In diesem Zusammenhang wies Agatha Kratz darauf hin, dass „Chinas Gewicht im internationalen Handel weiter zunimmt“, was sich darin zeigt, dass „Europa heute stärker von chinesischen Importen abhängig ist als noch vor fünf Jahren“. Zweitens beobachtet die Expertin eine doppelte Spaltung auf wirtschaftlicher Ebene. Die sichtbarste ist die „Desintegration“, die sich allmählich zwischen den USA und China in den Bereichen Investitionen und Handel vollzieht. Dies zeigt sich beispielsweise am deutlichen Rückgang des Anteils chinesischer Importe in die USA. Die in der folgenden Grafik dargestellten Zahlen bestätigen, dass der Rückgang der chinesischen Exporte in die USA im Gegensatz zur beständigen Rolle Chinas in der weltweiten Produktion steht.
Chinas Anteil an der weltweiten Industrieproduktion und US-Importen (%, 2004–2014)


Anmerkung: Produktion gemessen als Anteil an der Bruttowertschöpfung
Quelle: US Census Bureau, World Bank, Macrobond, Coface
Data for the graph in .xls file
Zusätzlich zu den Spannungen zwischen China und den USA zieht sich China zunehmend aus dem Rest der Welt zurück. Wie Agatha Kratz betonte, ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt darauf eingestellt, „ihre Abhängigkeit vom Ausland abzulegen“ und importiert daher „deutlich weniger“. Im Finanzsektor hingegen führt die aktuelle geopolitische Spaltung bislang noch nicht zu einer Fragmentierung. „Große Unternehmen und Finanzinstitute investieren weiterhin weltweit und sichern sich ihre Finanzierung auf globaler Ebene“, bestätigte Anne-Christine Champion, Co-Head Global Banking und Investor Solutions bei Société Générale.
Handelskrieg: Was sind die Folgen?
Obwohl die Regierung Trump nur wenige Stunden vor der Coface Country Risk Conference einen (vorübergehenden?) Rückzieher in Bezug auf Mexiko und Kanada machte, markierte die Entscheidung der USA, neue Zölle auf ihre wichtigsten Handelspartner – allen voran China – zu verhängen, den Beginn eines neuen Handelskriegs. Agatha Kratz warnte, dass „die Weltwirtschaft insgesamt verlieren wird. Allerdings könnten auch einige Länder profitieren, so wie es bereits vor einigen Jahren der Fall war.“ Länder wie Mexiko und Vietnam, die bislang als reine „Montagestandorte“ galten, haben sich zunehmend als strategische Knotenpunkte etabliert und ihre Wertschöpfungsketten weiterentwickelt und diversifiziert.
"Der restliche ASEAN-Verbund (Verband Südostasiatischer Nationen) wurde ebenfalls positiv beeinflusst“, fügte Agatha Kratz hinzu. Ramon Fernandez stimmte dieser Einschätzung zu und stellte fest, dass „Asien nach wie vor ein außergewöhnlich dynamischer Handelsraum ist“. Zudem verwies er auf die massive Beschleunigung chinesischer Exporte in die Volkswirtschaften Südostasiens und Mexikos. "Diese Länder wiederum exportieren auch mehr in die USA." Unter den entwickelten Volkswirtschaften hat die USA nun den Trend durchbrochen, „im Bereich grüner Produkte, wie etwa Elektro-Batterien und Solarpanels, sehr erfolgreich zu sein und im Einklang mit den Prioritäten der Biden-Regierung zu handeln", fügte Agatha Kratz hinzu.
Der Dollar bleibt als Währung unangefochten.
Anne-Christine Champion, Co-Head Global Banking und Investor Solutions, Société Générale
Neben den Folgen für die Inflation, das Wachstum des Welthandels und die Neuorganisation bestimmter Lieferketten könnte insbesondere die Offensive der USA gegen China auch Folgewirkungen haben. Agatha Kratz warnte, dass "die Europäische Kommission gezwungen sein könnte, handelsrechtliche Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass der Anstieg der Exporte der europäischen Wirtschaft schadet". Manche Hersteller haben jedoch diesbezüglich keine Bedenken. „Im Bereich der Küchengeräte haben chinesische Produkte in Europa bereits eine starke Präsenz, daher sollte das Risiko eines Importanstiegs aus China relativiert werden", sagte Thierry de La Tour d'Artaise, Chairman of Groupe SEB.
Wir haben noch nie so viel Fracht transportiert.
Ramon Fernandez, Group Chief Financial Officer, CMA CGM
Gegenläufige Entwicklungen auf regulatorischer Ebene
Die Europäische Union sah sich bereits nach dem Brexit mit dem Phänomen der regulatorischen Entkopplung im Hinblick auf das Vereinigte Königreich konfrontiert. Nun droht ein ähnliches Risiko gegenüber den USA. Diese Gefahr betrifft vor allem den Finanzsektor, in dem Donald Trump umfangreiche Deregulierung versprochen hat. "Dies stellt ein Problem für europäische Banken und im weiteren Kontext für die europäische Wirtschaft dar, da europäische Unternehmen 70 % ihrer Finanzierung vom Bankmarkt erhalten, während ihre US-amerikanischen Pendants 80 % über Anleihemärkten beschaffen.“ sagte Anne-Christine Champion. Dieser drohende Wettbewerbsnachteil erscheint umso problematischer, da europäische Akteure bereits mit Einschränkungen konfrontiert sind, denen ihre Mitbewerber nicht unterliegen. "In Europa haben wir das Emissionshandelssystem (ETS) und viele andere Vorschriften, die dem Klimaschutz dienen. Allerdings gibt es in vielen Teilen der Welt keine vergleichbaren Regeln und mit diesen müssen europäische Unternehmen konkurrieren." erklärte Ramon Fernandez. Thierry de La Tour d'Artaise appellierte an die europäischen und französischen Behörden, besonnen zu handeln: „KI (künstliche Intelligenz) beunruhigt mich weniger als eine CI (chinesische Invasion) oder eine NI (normative Inflation). In Europa drohen wir an einer ausufernden Regulierungsflut zugrunde zu gehen.“
Um mehr über den Welthandel zu erfahren, laden Sie unsere vollständige Studie herunter.
Sehen Sie sich auch die Aufzeichnung der Podiumsdiskussion auf der 29. Coface Country Risk 2025 an. -> https://youtu.be/eJkZ5f-VhYw?si=L7X2YkAZv2f-53jj