Die europäischen Gaspreise steigen, da die Lagerbestände schneller als erwartet schrumpfen. Das ist auf das kältere Wetter, den Rückgang bei der Erzeugung erneuerbarer Energien und das Ende des russischen Gastransits durch die Ukraine zurückzuführen. Da die Vorräte nun unter dem saisonalen Durchschnitt der Zeit vor dem Ukraine-Krieg liegen, steht Europa unter wachsendem Druck, die Versorgung vor dem Winter 2025/2026 sicherzustellen.
Anfang Januar 2025 überstieg der Gaspreis am niederländischen TTF, einem virtuellen Handlungspunkt im niederländischen Gasnetz, die Marke von 50 EUR/MWh, was einen Anstieg von 50 % gegenüber dem Vorjahr und den höchsten Stand seit Oktober 2023 bedeutet.
Die europäischen Erdgasvorräte sind in den frühen Herbst-/Wintermonaten rapide zurückgegangen und unter den 10-Jahres-Durchschnitt vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs gesunken.
Zwar besteht keine unmittelbare Gefahr für eine Energieknappheit in Europa, doch die Gasvorräte werden am Ende des Jahres wahrscheinlich niedriger sein als in den beiden vorangegangenen Wintern, so dass vor dem Winter 2025/2026 umfangreiche Käufe erforderlich werden.
Die Gaspreise in Europa sind auf ein Niveau zurückgekehrt, das seit über einem Jahr nicht mehr erreicht wurde. Der unerwartet starke Rückgang der europäischen Lagerbestände, die Unterbrechung der russischen Gaslieferungen durch die Ukraine und die Notwendigkeit, für das Jahr 2025 die Lagerstände aufzufüllen, tragen alle zum Aufwärtsdruck bei.
Simon Lacoume, Branchenanalyst bei Coface.
Schrumpfende europäische Gasvorräte zu Beginn der kalten Jahreszeit
Das Ende des russischen Gastransits durch die Ukraine1 seit dem 1. Januar hat dazu beigetragen, dass die europäischen Gaspreise auf den höchsten Stand seit 15 Monaten gestiegen sind. Seit Beginn des Krieges im Februar 2022 ist die Abhängigkeit Europas von russischem Gas zurückgegangen – von 45% der gesamten Gaseinfuhren im Jahr 2021 auf etwa 18% im Jahr 20232. Europa reagierte auf die geringeren Energieimporte über Pipelines mit einer Kombination aus Energiesparmaßnahmen, einer erhöhten Gasbevorratung während der Sommermonate, einer beschleunigten Einführung erneuerbarer Energiequellen und höheren Importen von Flüssigerdgas (LNG).
Da die Temperaturen in den letzten Wochen niedriger ausgefallen sind als erwartet, ist der Heizgasverbrauch in ganz Europa angestiegen. In Frankfurt liegen die Heizgradtage mit 878 weit über den 735 Heizgradtagen des letzten Winters (Heizgradtage sind das Produkt aus einem Tag und der Differenz zwischen der Heizgrenze und der an diesem Tag geltenden Tagesmitteltemperatur, die Einheit sind Kelvin-Tage). Darüber hinaus erlebte Europa eine „Dunkelflaute" – ein Wetterereignis, das durch kalte Temperaturen, geringe Sonneneinstrahlung und schwache Winde gekennzeichnet ist –, was sich negativ auf die Wind- und Solarstromerzeugung in Nordwesteuropa ausgewirkte.
Um diesen Rückgang bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu kompensieren, musste Europa auf seine Gasvorräte zurückgreifen. Das Zusammenspiel dieser Faktoren hat dazu geführt, dass die Vorräte niedriger sind als erwartet und etwa 1% unter dem Niveau von vor einem Jahr und leicht unter dem saisonalen Durchschnitt der Zeit vor dem Ukraine-Krieg liegen. Zwar besteht kein wesentliches Risiko von Versorgungsengpässen, doch werden die Gasspeicher wahrscheinlich auf einem niedrigeren Füllstand stehen als in den beiden vorangegangenen Wintern, als die Füllstände zwischen 55% und 60% lagen.
Futures deuten darauf hin, dass die Preise 2025/26 hoch bleiben werden
Wie die Futures auf die Preise des niederländischen TTF zeigen, dürften die europäischen Gaspreise rund 50% höher bleiben als im Jahr 2024 und mehr als doppelt so hoch wie vor dem Ukraine-Krieg3. Händler, die in Erwartung eines saisonalen Preisrückgangs ihre Gaskäufe aufgeschoben hatten, waren in den letzten Monaten gezwungen, zu hohen Preisen einzukaufen. Außerdem könnte die anschließende Nachfrage nach Nachfüllungen die Preise in die Höhe treiben.
Im Jahr 2025 wird die Marktdynamik davon abhängen, welche Rolle Asien spielt und ob die LNG-Exporte aus den USA zunehmen oder nicht.
Mit Blick auf die Zukunft werden die Rolle Asiens bei der Gasnachfrage und die zunehmenden US-LNG-Exporte die Marktdynamik bestimmen. Um die LNG-Versorgung zu sichern, wird Europa bei steigenden Preisen mit anderen Käufern konkurrieren müssen. Auch wenn die chinesischen Wachstumsaussichten (4,3% im Jahresvergleich) auf eine Verlangsamung der LNG-Nachfrage hindeuten und die milden Temperaturen in Nordostasien eine Umleitung von LNG zu Käufern in Europa ermöglicht haben, könnte eine stärkere Nachfrage einen größeren Preisanstieg bewirken. Gleichzeitig wird erwartet, dass die Abhängigkeit Europas von US-amerikanischem LNG zunehmen wird. Die USA waren der Hauptnutznießer des Rückgangs der europäischen Importe von russischem Gas, wobei der Anteil der amerikanischen Gasimporte im gleichen Zeitraum von 6% auf 19% gestiegen ist4. Neue Verflüssigungsanlagen, die in den nächsten Jahren in Nordamerika in Betrieb gehen sollen, werden wahrscheinlich zu einer Verlagerung der europäischen Lieferquellen führen, da die EU gleichzeitig das unverbindliche Ziel verfolgt, alle russischen Gasimporte bis 2027 einzustellen.
Da die volle Produktionskapazität in Nordamerika voraussichtlich nicht bis Ende des Jahres erreicht wird, dürften die Gasmärkte in Europa, Asien und den USA auch 2025 angespannt bleiben, was die Preise hoch hält.
1 https://www.reuters.com/business/energy/russia-halts-gas-exports-europe-via-ukraine-2025-01-01
2 https://www.consilium.europa.eu/en/infographics/eu-gas-supply/
3 Compare to 2015-2019 average price
4 2019-2023