Xavier Durand, CEO der Coface-Gruppe, gab Ende 2023 der Wirtschaftszeitung L'Agefi ein ausführliches Interview. Im hier veröffentlichten zweiten Teil spricht er über veränderte Finanzierungsbedingungen, CSR-Investitionen und die Rolle der Kreditversicherung in schwierigen Zeiten.
Wie weit wird die Normalisierung bei den Unternehmensinsolvenzen voranschreiten?
Das ist wirklich schwer vorherzusagen, denn wenn Politiker und Zentralbanken eingreifen, dann verfolgen sie Ziele, die nur schwer vereinbar sind. Zum einen soll die Inflation in Schach gehalten werden und gleichzeitig möchte man sicherstellen, dass man keine heftige Rezession auslöst. Die entscheidende Frage ist, wie lange das so weitergeht. Denn es braucht Zeit, bis die Geldpolitik in der Realwirtschaft zu wirken beginnt. Seit 18 Monaten werden die Zinssätze angehoben und die Inflation beginnt gerade erst wieder zu sinken. Das Ziel ist, eine sanfte Landung zu erreichen. Was wir sehen, ist eine Verlangsamung des weltweiten Wachstums auf 2,2 Prozent im Jahr 2024, was historisch gesehen recht niedrig ist.
Inwieweit verändert sich der Zugang zu Finanzmitteln?
Unternehmen sind jahrelang sehr günstig an Geld gekommen. Von nun an sind die Finanzierungsbedingungen nicht mehr so gut. Während der jüngsten Krisen haben die Firmen von staatlicher Unterstützung profitiert, aber die Frage ist doch: Haben sie die Gelegenheit genutzt, um ihr Geschäftsmodell zu überarbeiten bzw. anzupassen? Oder haben sie sich nur Zeit erkauft und werden nicht in der Lage sein, Schulden allein aus ihrem Cashflow zu tilgen? Wichtig ist zu wissen, welche Unternehmen in welche Kategorie fallen. Etwa zwei Drittel der durch staatliche Garantien abgesicherten Kredite sind noch nicht zurückgezahlt, was man – vor dem Hintergrund der derzeitigen Finanzierungsbedingungen – auch als eine Art Unterstützung verstehen könnte. Aber ab 2024 werden die so genannten „Zombie“-Unternehmen vor einer sprichwörtlichen Refinanzierungsmauer stehen, die einige von ihnen nur schwer überwinden können. Die Marktgesetze werden wieder die Oberhand gewinnen und es wird neue Krisengewinner und -verlierer geben.
Die Gewinnspannen von Unternehmen sind, genau wie die Cashflows, noch immer gut. In einem Umfeld mit einer positiven Ausgangssituation braucht eine Straffung der Geldpolitik deswegen Zeit. Dies gilt umso mehr, als sich die Unternehmen Finanzierungsquellen zu sehr niedrigen Zinssätzen über mehrere Jahre hinweg gesichert haben. Wir blicken auf einen Schuldenberg mit erheblichen Fälligkeiten im Jahr 2025. Alles wird von der Geschwindigkeit der Normalisierung abhängen. Im Moment liegt die Zahl der Konkurse in Frankreich mit rund 50.000 pro Jahr noch nahe an den jährlichen Durchschnittswerten vor Covid.
Müssen wir bzw. die Unternehmen sich vor den erheblichen Investitionen fürchten, die im Zuge der ökologischen und energetischen Wende vor uns liegen?
Die Investitionen in die Dekarbonisierung sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Sie liegen derzeit bei knapp zwei Billionen Dollar weltweit. Aber diese Zahl reicht bei weitem nicht aus, wenn wir das Pariser Abkommen einhalten wollen. Bis zum Jahr 2030 müsste jährlich mehr als das Doppelte investiert werden. Die Lücke ist immer noch riesig, zumal sie unter deutlich restriktiveren Bedingungen als bisher finanziert werden muss. Alle Wirtschaftsakteure müssen sich an den Anstrengungen beteiligen, um diese gemeinsam zu bewältigen zu können. Das beinhaltet Staaten, die den passenden steuerlichen und regulatorischen Rahmen schaffen müssen, aber auch die privaten Haushalte und Unternehmen.
Sind die Unternehmen überhaupt in der Lage, diese Übergänge zu bewältigen?
Es ist tatsächlich ein schwieriger Prozess. Die Unternehmen haben zwar nicht erst seit 2023 ihre Bemühungen rund um das Thema CSR intensiviert, jedoch haben die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Klimakrise in den letzten Jahren eine neue Dimension erreicht. Klimaschutzmaßnahmen und -vorschriften schreiten voran, aber dieser gesamte Rahmen ist äußerst komplex. Was den ökologischen Fortschritt betrifft, so sind nicht alle Branchen auf dem gleichen Level. Einige Sektoren, wie beispielsweise das Baugewerbe, haben die Nase vorn, da sie vor allem durch Vorschriften zum Handeln „gelenkt“ wurden. Andere Branchen bzw. deren Wirtschaftsmodell wird hingegen ernsthaft in Frage gestellt. Dies gilt beispielsweise für die Automobilindustrie, die sich gerade neu erfindet.
Über alle Branchen hinweg ist die Situation jedes Unternehmens natürlich ganz individuell. Aber alle sind weiterhin dabei, sich zu reorganisieren, um diese komplexen Fragestellungen zu bewältigen, die sowohl die Kultur als auch Kompetenzen betreffen, die zum Teil erst noch erfunden werden müssen. Alles mit dem Ziel, die neuen und immer anspruchsvolleren Regulierungsnormen zu erfüllen. Die Situation ist umso schwerer zu durchschauen, als dieser Rahmen auf internationaler Ebene noch lange nicht abgesteckt ist. Dies würde eine Einigung zwischen den Staaten voraussetzen, die derzeit jedoch noch nicht erkennbar ist.
Aber es gibt auch eine andere Seite der Medaille. Die ökologische Transformation wird auch Chancen bieten – für die Entstehung neuer Arbeitsplätze, für neue Märkte und für neue Technologien. Die Wirtschaft ist in ständiger Innovation begriffen und der ökologische Wandel ist ein fruchtbarer Boden für neue Lösungen.
Welche Maßnahmen ergreift Coface aus der CSR-Perspektive?
Die CSR-Strategie von Coface basiert auf drei Säulen: als Arbeitgeber, als Kreditversicherer und als Organisation, die ihren eigenen Fußabdruck verkleinern möchte.
Als Versicherer verfügen wir über ein Anlageportfolio von drei Milliarden Euro, für das wir Regeln für eine verantwortungsvolle Anlage aufgestellt haben. Wir berechnen die CO2-Belastung und sorgen dafür, dass diese stetig sinkt. Wir schließen – je nach Taxonomie wie zum Beispiel umweltverschmutzende oder unethische Branchen – verschiedene Arten von Unternehmen aus und das ESG-Rating unseres Portfolios verbessert sich von Jahr zu Jahr. Unsere Handelspolitik sieht auch die Begrenzung oder Reduzierung unseres Engagements in Sektoren vor, die mit fossilen Brennstoffen verbunden sind, sowie in unethischen Bereichen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Bereich „Operations“. Wir achten darauf, dass wir die von uns genutzten Büroflächen reduzieren, unsere Reiseaktivitäten zurückfahren und insgesamt weniger unterwegs sind. Verschiedene Homeoffice-Regelungen machen das möglich. Darüber hinaus haben wir beschlossen, unsere Unterstützung für ESG-Projekte im Rahmen unserer Single Risk Lösungen bis 2025 zu verdoppeln.
Als verantwortungsbewusster Arbeitgeber entwickeln wir bei Coface eine Personalpolitik, die darauf abzielt, das Wohlbefinden unserer Mitarbeiter zu gewährleisten. Das erreichen wir, indem wir unseren Angestellten ein entwicklungsförderndes, integratives und vielfältiges Umfeld bieten, das ein Schlüsselfaktor für den Erfolg unserer Teams ist, die sich aus mehr als 80 Nationalitäten in 58 Ländern zusammensetzen. Wir messen regelmäßig das Engagement unserer Mitarbeiter. Auf Basis dieser Umfragen folgen Aktionspläne wie die Entwicklung von Karrieremöglichkeiten durch internationale oder funktionale Mobilität oder spezifische Schulungspläne für unsere Talente, die insbesondere durch die Nutzung interner Akademien ihr Fachwissen vertiefen können. Wir führen auch zahlreiche Maßnahmen durch, um die Vielfalt innerhalb von Coface zu fördern. Dazu gehört auch die Gleichstellung von Männern und Frauen. Wir setzen alles daran, kurzfristig Lohngleichheit zu erreichen und den Frauenanteil unter den Senior Managern zu erhöhen. Mit dem Ziel, bis 2030 einen Frauenanteil von 40 Prozent zu erreichen. Dieses Ziel ist bereits weit fortgeschritten, da Frauen bereits heute 36 Prozent der Senior Manager stellen.
Hat sich die Rolle der Kreditversicherung in diesen schwierigen Zeiten verändert?
Die Welt ist komplexer und unberechenbarer geworden. Unsere Aufgabe besteht heute mehr denn je darin, unsere Kunden dabei zu unterstützen, diese unruhigen Gewässer sicher zu durchfahren. Unsere Arbeit besteht in der Regel aus Risikoprävention, Entschädigung und Eintreibung unbezahlter Forderungen. Wir verfolgen die Risiken für Unternehmen, was angesichts der großen gesellschaftlichen Veränderungen heute noch wichtiger ist. Dafür haben wir eine einzigartige Infrastruktur aufgebaut. Sie reicht von der wirtschaftlichen Analyse von Sektoren und Ländern bis hin zum Abrufen von Daten aus großen Bilanzen und Betriebskonten. Unsere Informationsbasis umfasst 188 Millionen Unternehmen in 200 Ländern. Unsere Daten, unsere Experten und unsere technologischen Systeme berücksichtigen die neuesten Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz und all dies fließt in unser Fachwissen über Risikoanalysen mit ein. Es ist eine Profession, die eine gewisse Investitionsbereitschaft, eine gewisse Größe und eine lange Historie von Erfahrungen und Daten erfordert.
In der Praxis entwickeln wir Scoring- und Tracking-Tools für Unternehmen, damit unsere Kunden ihre eigenen Kunden überwachen können. Einer der Gründe, warum unser Angebot gewachsen ist, liegt darin, dass unsere Dienstleistungen für unsere Kunden benutzerfreundlich sind. Sie müssen in der Lage sein, schnell auf unsere Daten zuzugreifen. Vor fünf Jahren dauerte es eine Woche, um ein Kreditversicherungslimit zu gewähren, während heute nur noch wenige Stunden nötig sind. Auch die Konnektivität hat Priorität, sie muss optimal sein.
Seit drei Jahren haben wir eine Reihe von Informationsservices entwickelt, die unser Kreditversicherungsgeschäft ergänzen und mit diesem in Synergie stehen. Unsere Daten, die wir auch zur Analyse unserer eigenen Kreditverpflichtungen verwenden, helfen unseren Kunden, das Ausfallrisiko ihrer Lieferanten und Kunden zu überwachen. Darüber hinaus sind sie nützlich für die Suche nach neuen Handelspartnern.
Für kleine und sehr kleine Unternehmen, die nicht so viele Daten veröffentlichen wie größere, müssen wir Risiken mit weniger Informationen verwalten. Die Verbesserung der Dienstleistungen, die wir ihnen bieten, ist ein langfristiges Unterfangen, bei dem wir dank der Vermehrung der verfügbaren Daten und der neuen Technologien ständig Fortschritte machen. Wir müssen eine einfache und wirksame Lösung bieten, die sich sowohl die Technologie zunutze macht als auch die Rechts- und Risikoanalyse beinhaltet. Und schließlich muss man die richtigen Vertriebskanäle finden, um das Gleichgewicht zwischen dem Zeitaufwand für den Verkauf und dem Preis der Dienstleistung zu wahren.
Wie bewerten Sie die langfristigen Perspektiven für die Kreditversicherung?
Es gibt nicht sehr viele Marktteilnehmer in dieser sehr anspruchsvollen Branche. Gleichzeitig müssen die Unternehmen ihr Kreditrisiko weltweit im Auge behalten: Man schätzt, dass ein Viertel aller Insolvenzen weltweit mit Zahlungsproblemen zusammenhängt. Deshalb spielen wir eine zentrale Rolle, indem wir Unternehmen dabei helfen, Zahlungsausfälle durch Kreditversicherungen oder durch die Bereitstellung von Daten zu vermeiden. Wir haben auch ein eigenes Factoring-Geschäft in Deutschland und Polen und arbeiten mit anderen Factoring-Gesellschaften zusammen.
Es geht uns in erster Linie um Prävention. Die Kreditversicherung ist kein teures Produkt, sie macht nur ein paar Dutzend Basispunkte des Umsatzes eines Unternehmens aus. Um ein Gleichgewicht zwischen den eingenommenen Prämien und den entschädigten Forderungen herzustellen, muss man also das Optimum zwischen dem Verkaufspreis der Dienstleistung und dem Risiko, das man einzugehen bereit ist, finden. All das bedeutet, dass wir uns für gut konzipierte Transaktionen zwischen Versicherten und Versicherern einsetzen. Unsere guten Ergebnisse sind größtenteils auf unser gutes Risikomanagement zurückzuführen.
HIER können Sie den ersten Teil des Interviews mit Xavier Durand lesen.